"... und ich möchte

leben bis zuletzt!"

Licht und Schatten

Herr E. ist am Morgen gestorben erfahre ich bei meinem Besuch im Hospiz. Es sei ihm in den letzten Tagen sehr schlecht gegangen, seine Frau war am Abend vorher lange bei ihm...

Ich bin erschrocken, traurig....

setze mich in den Raum der Stille...

...und ich bin beleidigt merke ich nach einer Weile. Frau E. hatte meine Telefonnummer , mich aber nicht angerufen. Ich schäme mich für dieses Beleidigtsein, weiß doch wie schwer ihr der Abschied fiel und wie überwältigt und paralysiert sie wahrscheinlich ist.

In Herrn E's leerem Zimmer stehen der Olivenholzengel, die Holzkugel und die LEK-Kerze zur Abholung bereit. Ich mache die Kerze an. Den Engel hatte Herr E. sich vor meinem Urlaub als Mitbringsel gewünscht. Ich habe dann dort schließlich über Dimitri's kleinen Andenkenladen einen alten Schreiner gefunden, der einen Engel für Herrn E. aus Olivenholz schnitzte. Ich solle ihm ausrichten, dass der Engel ihn umfasse mit seinen großen nach vorne gewölbten Flügeln sagte mir Dimitris. Dann legte er eine Holzkugel dazu und sagte:"Die ist von mir für Herrn E.. Sagen Sie ihm, dass jetzt noch zwei Menschen mehr an ihn denken.

Als ich nach dem Urlaub zu Herrn E. komme heißt es, er könne jeden Moment sterben. Ich setze mich zu ihm, er schaut mich ohne Zeichen des Erkennens mit halb geschlossenen Augen an. Ich erzähle ihm, dass ich den Engel mitgebracht habe. Herr E. reagiert und versucht die Figur aus der Tüte zu holen, ich muss ihm dabei helfen. Dann hält er den Engel und sagt: "Machense mal das Licht an!" Er schaut ihn an, befühlt ihn und sagt wie sehr er sich darüber freut. Dann überlegt er, wo der Engel stehen soll und plaziert ihn vorsichtig auf seinem Betttisch. Auch die Kugel hält er lange in der Hand, fragt um ein Schälchen und lässt sie lange darin rollen, erzählt dabei, dass er als Kind so eine Kugel hatte. Das war vor sechs Wochen....

Jetzt leuchtet die Kerze vor dem Engel im leeren Raum.

Zehn Tage später singen wir im Hospiz. Beim dritten Lied kommt Frau E. dazu. Wir umarmen uns, singen gemeinsam und sie erzählt in den Singpausen von den letzten Tagen mit Herrn E.. Sie war immer bei ihm in den letzten drei Tagen und hat ihm in der letzten Nacht gesagt, dass sie ihn loslassen kann, dass er unbesorgt sein könne, sie würde es ohne ihn schaffen,dass sie ihn liebe.

Sie habe es nicht mehr geschafft mich anzurufen, aber gewusst, dass sie mich hier beim Singen treffen werde. Jetzt wird mir klar, dass ich Hospizbegleiterin auch zurücktreten muss, dass das Sterben ein ganz intimer Prozess von den nahen Angehörigen und dem Sterbenden sein kann, wo ich dann nicht hingehöre. Es ist im Laufe der Wochen und Monate eine Beziehung zu Herrn E. entstanden. Er war einmal regelrecht mürrisch als bei einem Besuch seine Frau dazu kam und ich viel mit ihr sprach. Ich muss darauf achten, bei der Begleitung Eifersucht und Sehnsucht, "Wichtig-sein-wollen" und Besitzansprüche genau im Auge zu halten. Es ist notwendig, die Angehörigen in die Begleitung einzubeziehen und zurückzutreten, wenn meine Beziehung zum Sterbenden die Beziehung der nahen Angehörigen zueinander belasten könnte.

Frau E. und ich gehen nach dem Singen gemeinsam durch den Park runter zu den Autos. Sie schenkt mir einen kleinen Glasengel "von den E's" und bedankt sich für meine Begleitung ihres Mannes. Sie wird mich anrufen wenn sie weiß, wann die Beerdigung sein wird.